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Berlin – Koblenz: Etappe 1

Die erste “richtige” Etappe der Wanderung entlang der Strecke des Preußischen optischen Telegrafen von Berlin nach Koblenz führt vom ehemaligen Standort der ersten Berliner Sternwarte (“Telegraphenstation 1″) in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte zur Dorfkirche St. Annen in Berlin-Dahlem (“Telegraphenstation 2″).

Zwischenstation: Standort der Werkstatt von Carl Philipp Heinrich Pistor

Gleich zu Beginn empfiehlt sich ein Abstecher in die Mauerstraße, wo Carl Philipp Heinrich Pistor im damaligen Haus Nr. 34 zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Werkstatt hatte.

Pistor (1778 – 1847) hatte mit 15 Jahren auf Wunsch seines Stiefvaters das Gymnasium verlassen und eine Stelle als Postschreiber angetreten. Seit 1795 Postsekretär nutzte er seine zahlreichen Dienstreisen, um in verschiedenen Orten die Polhöhe zu vermessen sowie persönliche Kontakte zu führenden Astronomen aufzubauen. Nach einer Versetzung nach Halle besuchte er dort Vorlesungen in Astronomie, Chemie und Physik. 1803 kehrte er nach Berlin zurück, wo er zeitweise in der mechanischen Werkstatt von Karl Theodor Nathan Mendelssohn arbeitete, dem jüngsten Sohn des Philosophen Moses Mendelssohn, der eine der ersten Werkstätten für wissenschaftliche Instrumente in Berlin betrieb und dort Sextanten, Waagen, Kreisteilmaschinen und viele andere Instrumente herstellte.

1813 reiste Pistor als preußischer Kurier nach London und besichtigte dabei mehrere bekannte mechanische und optische Werkstätten. Seine eigene Werkstatt, die er anschließend in der Mauerstraße 34 in Berlin eröffnete, errang wegen ihrer großen und hochqualitativen astronomischen und geodätischen Instrumente bald einen ausgezeichneten Ruf und belieferte Sternwarten in ganz Europa mit seinen Instrumenten. In seiner Werkstatt wurden hervorragende Experten wie z. B. der spätere Telegrafentechniker Johann Georg Halske ausgebildet.
Pistor fertigte das Urmaß des preußischen Fuß an und wurde in die preußische “Normal-Eichungskommission” berufen. Seine Werkstatt gilt als die Geburtsstätte der Berliner Feinmechanik und Optik.

1816 entstand in seiner Werkstatt in Zusammenarbeit mit Georg Christian Freund die erste in Berlin gebaute funktionstüchtige Dampfmaschine (bis 1902 in Betrieb, heute im Deutschen Museum in München ausgestellt). Im Jahr 1824 nahm Pistor seinen Gesellen Friedrich Wilhelm Schie(c)k als Werkstattleiter und Teilhaber in den Betrieb auf. Eine Preisliste der Firma Pistor & Schiek von 1829 mit 120 Positionen enthielt 4 Mikroskope und 63 astronomische und geodätische Geräte. Schiek konzentrierte sich zunehmend auf den Mikroskopbau und im Jahre 1836 trennen sich ihre Wege wieder, als Schiek sich mit einer eigenen Firma selbstständig machte.
Pistor tat sich anschließend zunächst mit Wilhelm Hirschmann Senior und später mit seinem Schwiegersohn Carl Martins zusammen. Die Firma Pistor & Martins wurde nach Pistors Tod im Jahre 1847 von Martins und Pistors Sohn Gottfried weitergeführt. Der Tod von Martins im Jahr 1871 führte zu einem raschen Niedergang der Werkstatt und Ende 1873 zur Einstellung des Betriebs.

Pistor lieferte nicht nur optische Instrumente für die Alte Berliner Sternwarte, deren Standort Startpunkt dieser Etappe ist, er gilt auch als Vater des Preußischen optischen Telegraphen. Im Dezember 1830 legte er dem preußischen Generalstab eine Denkschrift über den Entwurf zur Errichtung einer Telegrafenlinie in den Königlich Preußischen Staaten vor und formulierte darin die technische Idee und Initiative zum Bau der damals längsten Telegrafielinie Mitteleuropas.

Basierend auf den Telegrafenapparaten von William Pasley und Barnard L. Watson hatte Pistor selbst einen Apparat für die zu errichtende Telegrafielinie konstruiert. Pistor übernahm dabei das sechsarmige Prinzip des “Second Polygrammatic Telegraph” von Pasley aus dem Jahr 1810, überarbeitete die Mechanik der Konstruktion aber umfassend. Außerdem entwickelte Pistor die für den Betrieb notwendigen Fernrohre.

Mit Geheimer Kabinettsorder vom 21. Juli 1832 erteilte König Friedrich Wilhelm III. schließlich die Genehmigung zum Bau einer optischen Telegrafenlinie von Berlin bis Koblenz, was als Beginn der Telekommunikation in Deutschland angesehen werden kann. Die Bauleitung wurde dem Major im Generalstab, Franz August O’Etzel, übertragen, der auch die Codebücher der Telegrafenlinie schrieb und als “Königlich Preußischer Telegraphendirektor” schließlich den Betrieb der Anlage leitete. Pistors Berliner Werkstätte wurde als Lieferant der Stationsausrüstungen mit Signalgebern und Fernrohren ausgewählt.

Teleskop des Preußischen optischen Telegrafen aus der Werkstatt Pistors, ausgestellt im Museum für Kommunikation, Frankfurt

Teleskop des Preußischen optischen Telegrafen aus der Werkstatt Pistors (ausgestellt im Museum für Kommunikation, Frankfurt) — Foto: © Superbass / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)

 

Ziel: Die “Telegraphenstation 2 – Dahlem-Kirche”

Nach Erlass der Geheimen Kabinettsorder zum Bau der Telegrafenlinie im Juli 1832 wurden bis zum November desselben Jahres bereits die ersten 14 Stationen von Berlin über Potsdam, Brandenburg an der Havel und Genthin bis Magdeburg fertiggestellt. Die Standorte der Stationen wurden von O’Etzel selbst ausgewählt. Dabei berücksichtigte er vorhandene Bauwerke wie beispielsweise den Turm der Dahlemer Dorfkirche (Station 2), oder er ließ entsprechend hohe Gebäude beziehungsweise Türme errichten.

Die Station Dahlem-Kirche (heute Dorfkirche; an der Kreuzung Königin-Luise-Straße / Pacelliallee) lag 9,8 km Luftlinie von der Alten Berliner Sternwarte entfernt.

Bei Errichtung der Telegrafenlinie Dahlem befanden sich das Dorf und Gut Dahlem mit Schmiede, Gastwirtschaft, Windmühle und einer Schäferei zusammen mit dem Vorwerk Ruhleben, dem Forsthaus Hundekehle und dem Wirtshaus Paulsborn im Besitz des Juristen und Staatsministers Carl Friedrich von Beyme, der auf dem Gut Steglitz lebte. Nach seinem Tod 1838 wurde das Dorf 1841 an den preußischen Domänenfiskus verkauft; es entstand die “Königliche Domäne Dahlem”.

Die St.-Annen-Kirche wurde um 1300 aus Feldsteinen und Ziegeln anstelle einer früheren Holzkirche auf einem kleinen Hügel errichtet; der spätgotische Choranbau und der Gruftanbau im Norden wurden Ende des 15. Jahrhunderts hinzugefügt. 1781 erhielt die Kirche einen hölzernen Dachturm, der von 1832 bis 1849 als zweite Relaisstation des Preußischen optischen Telegrafen Berlin−Koblenz diente. Über der Glockenstube wurde dazu ein quadratischer Raum geschaffen. Darüber befand sich eine offene Plattform mit einem Signalmast, der sechs Flügel in drei Paaren trug. Nachdem diese Nachrichtentechnik überholt war, wurde nach 1853 auf die ehemalige Wachstube des Bedienungspersonals eine Turmspitze aufgesetzt.

Preußischer optischer Telegraph Nr.2 in Berlin-Dahlem; Illustration, Autor unbekannt, vor 1900

Preußischer optischer Telegraph Nr.2 in Berlin-Dahlem; Quelle: Eugen Chill: In memoriam Postrat Pistor, in: Die Sterne, Jg. 37 Heft 1 und 2, 1961 — Bild: Autor unbekannt (lt. Signatur: “Grünberg”) / Public Domain (via Wikimedia Commons)

In der Zeit des Nationalsozialismus war die St.-Annen-Kirche ein Ort der Bekennenden Kirche. Hier versammelte sich nach der Verhaftung ihres Pfarrers Martin Niemöller vom 4. Juli 1937 an die Gemeinde jeden Abend um 18 Uhr zu Fürbittgottesdiensten für alle Gefangenen. Auch die Pfarrer Franz Hildebrandt und Helmut Gollwitzer wirkten in dieser Zeit an St. Annen.

Umgeben ist die Kirche von einem Friedhof, dem St.-Annen-Kirchhof, der seit dem 13. Jahrhundert besteht. Er ist seit 1908/1909 vom tiefergelegenen städtischen Friedhof Dahlem umgeben und mit diesem über Treppen verbunden. Im Jahr 1996 wurde auf dem Friedhof ein Mahnmal des Künstlers Nikolaus Koliusis zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufgestellt.
Auf dem St-Annen-Kirchhof liegen u.a. Ludwig Bartning, Carl Friedrich von Beyme, Rudi Dutschke, Otto Heinrich von der Gablentz, Helmut Gollwitzer, Bischof Kurt Scharf, Friedrich Schmidt-Ott, Walther Schmieding, Marion Yorck von Wartenburg sowie zahlreiche Theologen und Mitglieder der Bekennenden Kirche.

Berlin Dorfkirche Dahlem UAV 04-2017; A. Savin, Wikimedia Commons, WikiPhotoSpace

Berlin Dorfkirche Dahlem im April 2017 — Foto: A. Savin / Free Art License (via Wikimedia Commons)

Welchen Weg?

Doch welchen Weg soll ich von Mitte nach Dahlem wählen? Einen, der am ehesten der Luftlinie zwischen den beiden Telegrafenstationen entspricht? Oder einen, der sich an Straßen orientiert, die in den 1830er und 1840er Jahren bereits existierten und die beispielsweise ein Inspektor der Telegrafenlinie genommen hätte?

Letzteres ist natürlich nicht so einfach, denn um 1840 endete die Stadt am Brandenburger Tor, und an der heutigen Stresemannstraße verlief die Stadtmauer. Dort enden natürlich auch Stadtpläne aus der Zeit. Welche Straßen nach Dahlem könnte es damals schon gegeben haben?

Ein Reisender, der an der Mauerstraße 34 startet, wäre vermutlich der Mauerstraße nach Süden gefolgt, dann in die Leipziger Straße abgebogen und hätte die Stadt durch das Tor zwischen Leipziger und Potsdamer Platz verlassen. Er wäre dann wohl der Potsdamer Straße bis nach Steglitz gefolgt (heute Potsdamer Straße – Hauptstraße – Schloßstraße) und dort Richtung Dahlem abgebogen (heute Grunewaldstraße – Königin-Luise-Straße).

Das sind aber heute alles Hauptverkehrsstraßen und keine schöne Wanderstrecke; ich entscheide mich daher für einen Weg, der am ehesten der Luftlinie zwischen den beiden Telegrafenstationen entspricht (siehe unten). Die Entfernung per Luftlinie beträgt 9,8 km; gewandert kommt man insgesamt auf etwa 12,6 km.

Quellen:
Wikipedia: Carl Philipp Heinrich Pistor
Deutsche Biographie: Pistor, Karl (Carl) Philipp Heinrich
Wikipedia: Preußischer optischer Telegraf
Wikipedia: Liste der Stationen des preußischen optischen Telegrafen
Wikipedia: Berlin-Dahlem
Wikipedia: Dorfkirche Dahlem
Wikipedia: St.-Annen-Kirchhof

 

Verlauf der Etappe 1

Start: Dorotheenstraße 27; ehemaliger Standort der Telegraphenstation 1 auf der Alten Berliner Sternwarte

Ziel 1: Mauerstraße 34, Wohnhaus Carl Philipp Heinrich Pistors und Standort seiner feinmechanischen Werkstatt 1813-1847

Strecke: 850 m – Dorotheenstraße Richtung Westen – links in die Neustädtische Kirchstraße – rechts in die Behrenstraße – links in die Mauerstraße bis etwa Höhe Französische Straße

Ziel 2: St-Annen-Kirche, Berlin-Dahlem

Strecke: 11,7 km – Von der Mauerstraße zurück auf die Behrenstraße – die Ebertstraße überqueren und ein Stück durch den Tiergarten – Stauffenbergstraße –Magdeburger Platz – Genthiner Straße – an dre Kurfürstenstraße halb rechts in die Else-Lasker-Schüler-Straße – über den Nollendorfplatz zur Maaßenstraße – Winterfeldtstraße – Habsburger Straße – Luitpoldstraße – Eisenacher Straße – Hohenstaufenstraße – Martin-Luther-Straße – Speyerer Straße – Barbarossastraße – Münchener Straße – Rosenheimer Straße – schräg durch zum Bayerischen Platz – diesen überqueren, dann rechts in die Grunewaldstraße – Kufsteiner Straße – durch den Volkspark Wilmersdorf, über die Prinzregentenstraße hinweg bis zur Tübinger Straße – Tübinger Straße – links in die Bundesallee – am Bundesplatz vorbei bis zum Südwestkorso – rechts in die Wiesbadener Straße – am Rüdesheimer Platz links in die Rüdesheimer Straße – Breitenbachplatz – Schorlemerallee – Englerallee – Am Erlenbusch – Kaiser-Wilhelm-Platz – Podbielskiallee – Im Dol – Franz-Grothe-Weg – Königin-Luise-Straße – über den alten Dorfanger zur St.-Annen-Kirche

Etappe gesamt: 12,6 km

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