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Berlin – Koblenz: Etappe 1

Die erste “richtige” Etappe der Wanderung entlang der Strecke des Preußischen optischen Telegrafen von Berlin nach Koblenz führt vom ehemaligen Standort der ersten Berliner Sternwarte (“Telegraphenstation 1″) in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte zur Dorfkirche St. Annen in Berlin-Dahlem (“Telegraphenstation 2″).

Zwischenstation: Standort der Werkstatt von Carl Philipp Heinrich Pistor

Gleich zu Beginn empfiehlt sich ein Abstecher in die Mauerstraße, wo Carl Philipp Heinrich Pistor im damaligen Haus Nr. 34 zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Werkstatt hatte.

Pistor (1778 – 1847) hatte mit 15 Jahren auf Wunsch seines Stiefvaters das Gymnasium verlassen und eine Stelle als Postschreiber angetreten. Seit 1795 Postsekretär nutzte er seine zahlreichen Dienstreisen, um in verschiedenen Orten die Polhöhe zu vermessen sowie persönliche Kontakte zu führenden Astronomen aufzubauen. Nach einer Versetzung nach Halle besuchte er dort Vorlesungen in Astronomie, Chemie und Physik. 1803 kehrte er nach Berlin zurück, wo er zeitweise in der mechanischen Werkstatt von Karl Theodor Nathan Mendelssohn arbeitete, dem jüngsten Sohn des Philosophen Moses Mendelssohn, der eine der ersten Werkstätten für wissenschaftliche Instrumente in Berlin betrieb und dort Sextanten, Waagen, Kreisteilmaschinen und viele andere Instrumente herstellte.

1813 reiste Pistor als preußischer Kurier nach London und besichtigte dabei mehrere bekannte mechanische und optische Werkstätten. Seine eigene Werkstatt, die er anschließend in der Mauerstraße 34 in Berlin eröffnete, errang wegen ihrer großen und hochqualitativen astronomischen und geodätischen Instrumente bald einen ausgezeichneten Ruf und belieferte Sternwarten in ganz Europa mit seinen Instrumenten. In seiner Werkstatt wurden hervorragende Experten wie z. B. der spätere Telegrafentechniker Johann Georg Halske ausgebildet.
Pistor fertigte das Urmaß des preußischen Fuß an und wurde in die preußische “Normal-Eichungskommission” berufen. Seine Werkstatt gilt als die Geburtsstätte der Berliner Feinmechanik und Optik.

1816 entstand in seiner Werkstatt in Zusammenarbeit mit Georg Christian Freund die erste in Berlin gebaute funktionstüchtige Dampfmaschine (bis 1902 in Betrieb, heute im Deutschen Museum in München ausgestellt). Im Jahr 1824 nahm Pistor seinen Gesellen Friedrich Wilhelm Schie(c)k als Werkstattleiter und Teilhaber in den Betrieb auf. Eine Preisliste der Firma Pistor & Schiek von 1829 mit 120 Positionen enthielt 4 Mikroskope und 63 astronomische und geodätische Geräte. Schiek konzentrierte sich zunehmend auf den Mikroskopbau und im Jahre 1836 trennen sich ihre Wege wieder, als Schiek sich mit einer eigenen Firma selbstständig machte.
Pistor tat sich anschließend zunächst mit Wilhelm Hirschmann Senior und später mit seinem Schwiegersohn Carl Martins zusammen. Die Firma Pistor & Martins wurde nach Pistors Tod im Jahre 1847 von Martins und Pistors Sohn Gottfried weitergeführt. Der Tod von Martins im Jahr 1871 führte zu einem raschen Niedergang der Werkstatt und Ende 1873 zur Einstellung des Betriebs.

Pistor lieferte nicht nur optische Instrumente für die Alte Berliner Sternwarte, deren Standort Startpunkt dieser Etappe ist, er gilt auch als Vater des Preußischen optischen Telegraphen. Im Dezember 1830 legte er dem preußischen Generalstab eine Denkschrift über den Entwurf zur Errichtung einer Telegrafenlinie in den Königlich Preußischen Staaten vor und formulierte darin die technische Idee und Initiative zum Bau der damals längsten Telegrafielinie Mitteleuropas.

Basierend auf den Telegrafenapparaten von William Pasley und Barnard L. Watson hatte Pistor selbst einen Apparat für die zu errichtende Telegrafielinie konstruiert. Pistor übernahm dabei das sechsarmige Prinzip des “Second Polygrammatic Telegraph” von Pasley aus dem Jahr 1810, überarbeitete die Mechanik der Konstruktion aber umfassend. Außerdem entwickelte Pistor die für den Betrieb notwendigen Fernrohre.

Mit Geheimer Kabinettsorder vom 21. Juli 1832 erteilte König Friedrich Wilhelm III. schließlich die Genehmigung zum Bau einer optischen Telegrafenlinie von Berlin bis Koblenz, was als Beginn der Telekommunikation in Deutschland angesehen werden kann. Die Bauleitung wurde dem Major im Generalstab, Franz August O’Etzel, übertragen, der auch die Codebücher der Telegrafenlinie schrieb und als “Königlich Preußischer Telegraphendirektor” schließlich den Betrieb der Anlage leitete. Pistors Berliner Werkstätte wurde als Lieferant der Stationsausrüstungen mit Signalgebern und Fernrohren ausgewählt.

Teleskop des Preußischen optischen Telegrafen aus der Werkstatt Pistors, ausgestellt im Museum für Kommunikation, Frankfurt

Teleskop des Preußischen optischen Telegrafen aus der Werkstatt Pistors (ausgestellt im Museum für Kommunikation, Frankfurt) — Foto: © Superbass / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)

 

Ziel: Die “Telegraphenstation 2 – Dahlem-Kirche”

Nach Erlass der Geheimen Kabinettsorder zum Bau der Telegrafenlinie im Juli 1832 wurden bis zum November desselben Jahres bereits die ersten 14 Stationen von Berlin über Potsdam, Brandenburg an der Havel und Genthin bis Magdeburg fertiggestellt. Die Standorte der Stationen wurden von O’Etzel selbst ausgewählt. Dabei berücksichtigte er vorhandene Bauwerke wie beispielsweise den Turm der Dahlemer Dorfkirche (Station 2), oder er ließ entsprechend hohe Gebäude beziehungsweise Türme errichten.

Die Station Dahlem-Kirche (heute Dorfkirche; an der Kreuzung Königin-Luise-Straße / Pacelliallee) lag 9,8 km Luftlinie von der Alten Berliner Sternwarte entfernt.

Bei Errichtung der Telegrafenlinie Dahlem befanden sich das Dorf und Gut Dahlem mit Schmiede, Gastwirtschaft, Windmühle und einer Schäferei zusammen mit dem Vorwerk Ruhleben, dem Forsthaus Hundekehle und dem Wirtshaus Paulsborn im Besitz des Juristen und Staatsministers Carl Friedrich von Beyme, der auf dem Gut Steglitz lebte. Nach seinem Tod 1838 wurde das Dorf 1841 an den preußischen Domänenfiskus verkauft; es entstand die “Königliche Domäne Dahlem”.

Die St.-Annen-Kirche wurde um 1300 aus Feldsteinen und Ziegeln anstelle einer früheren Holzkirche auf einem kleinen Hügel errichtet; der spätgotische Choranbau und der Gruftanbau im Norden wurden Ende des 15. Jahrhunderts hinzugefügt. 1781 erhielt die Kirche einen hölzernen Dachturm, der von 1832 bis 1849 als zweite Relaisstation des Preußischen optischen Telegrafen Berlin−Koblenz diente. Über der Glockenstube wurde dazu ein quadratischer Raum geschaffen. Darüber befand sich eine offene Plattform mit einem Signalmast, der sechs Flügel in drei Paaren trug. Nachdem diese Nachrichtentechnik überholt war, wurde nach 1853 auf die ehemalige Wachstube des Bedienungspersonals eine Turmspitze aufgesetzt.

Preußischer optischer Telegraph Nr.2 in Berlin-Dahlem; Illustration, Autor unbekannt, vor 1900

Preußischer optischer Telegraph Nr.2 in Berlin-Dahlem; Quelle: Eugen Chill: In memoriam Postrat Pistor, in: Die Sterne, Jg. 37 Heft 1 und 2, 1961 — Bild: Autor unbekannt (lt. Signatur: “Grünberg”) / Public Domain (via Wikimedia Commons)

In der Zeit des Nationalsozialismus war die St.-Annen-Kirche ein Ort der Bekennenden Kirche. Hier versammelte sich nach der Verhaftung ihres Pfarrers Martin Niemöller vom 4. Juli 1937 an die Gemeinde jeden Abend um 18 Uhr zu Fürbittgottesdiensten für alle Gefangenen. Auch die Pfarrer Franz Hildebrandt und Helmut Gollwitzer wirkten in dieser Zeit an St. Annen.

Umgeben ist die Kirche von einem Friedhof, dem St.-Annen-Kirchhof, der seit dem 13. Jahrhundert besteht. Er ist seit 1908/1909 vom tiefergelegenen städtischen Friedhof Dahlem umgeben und mit diesem über Treppen verbunden. Im Jahr 1996 wurde auf dem Friedhof ein Mahnmal des Künstlers Nikolaus Koliusis zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufgestellt.
Auf dem St-Annen-Kirchhof liegen u.a. Ludwig Bartning, Carl Friedrich von Beyme, Rudi Dutschke, Otto Heinrich von der Gablentz, Helmut Gollwitzer, Bischof Kurt Scharf, Friedrich Schmidt-Ott, Walther Schmieding, Marion Yorck von Wartenburg sowie zahlreiche Theologen und Mitglieder der Bekennenden Kirche.

Berlin Dorfkirche Dahlem UAV 04-2017; A. Savin, Wikimedia Commons, WikiPhotoSpace

Berlin Dorfkirche Dahlem im April 2017 — Foto: A. Savin / Free Art License (via Wikimedia Commons)

Welchen Weg?

Doch welchen Weg soll ich von Mitte nach Dahlem wählen? Einen, der am ehesten der Luftlinie zwischen den beiden Telegrafenstationen entspricht? Oder einen, der sich an Straßen orientiert, die in den 1830er und 1840er Jahren bereits existierten und die beispielsweise ein Inspektor der Telegrafenlinie genommen hätte?

Letzteres ist natürlich nicht so einfach, denn um 1840 endete die Stadt am Brandenburger Tor, und an der heutigen Stresemannstraße verlief die Stadtmauer. Dort enden natürlich auch Stadtpläne aus der Zeit. Welche Straßen nach Dahlem könnte es damals schon gegeben haben?

Ein Reisender, der an der Mauerstraße 34 startet, wäre vermutlich der Mauerstraße nach Süden gefolgt, dann in die Leipziger Straße abgebogen und hätte die Stadt durch das Tor zwischen Leipziger und Potsdamer Platz verlassen. Er wäre dann wohl der Potsdamer Straße bis nach Steglitz gefolgt (heute Potsdamer Straße – Hauptstraße – Schloßstraße) und dort Richtung Dahlem abgebogen (heute Grunewaldstraße – Königin-Luise-Straße).

Das sind aber heute alles Hauptverkehrsstraßen und keine schöne Wanderstrecke; ich entscheide mich daher für einen Weg, der am ehesten der Luftlinie zwischen den beiden Telegrafenstationen entspricht (siehe unten). Die Entfernung per Luftlinie beträgt 9,8 km; gewandert kommt man insgesamt auf etwa 12,6 km.

Quellen:
Wikipedia: Carl Philipp Heinrich Pistor
Deutsche Biographie: Pistor, Karl (Carl) Philipp Heinrich
Wikipedia: Preußischer optischer Telegraf
Wikipedia: Liste der Stationen des preußischen optischen Telegrafen
Wikipedia: Berlin-Dahlem
Wikipedia: Dorfkirche Dahlem
Wikipedia: St.-Annen-Kirchhof

 

Verlauf der Etappe 1

Start: Dorotheenstraße 27; ehemaliger Standort der Telegraphenstation 1 auf der Alten Berliner Sternwarte

Ziel 1: Mauerstraße 34, Wohnhaus Carl Philipp Heinrich Pistors und Standort seiner feinmechanischen Werkstatt 1813-1847

Strecke: 850 m – Dorotheenstraße Richtung Westen – links in die Neustädtische Kirchstraße – rechts in die Behrenstraße – links in die Mauerstraße bis etwa Höhe Französische Straße

Ziel 2: St-Annen-Kirche, Berlin-Dahlem

Strecke: 11,7 km – Von der Mauerstraße zurück auf die Behrenstraße – die Ebertstraße überqueren und ein Stück durch den Tiergarten – Stauffenbergstraße –Magdeburger Platz – Genthiner Straße – an dre Kurfürstenstraße halb rechts in die Else-Lasker-Schüler-Straße – über den Nollendorfplatz zur Maaßenstraße – Winterfeldtstraße – Habsburger Straße – Luitpoldstraße – Eisenacher Straße – Hohenstaufenstraße – Martin-Luther-Straße – Speyerer Straße – Barbarossastraße – Münchener Straße – Rosenheimer Straße – schräg durch zum Bayerischen Platz – diesen überqueren, dann rechts in die Grunewaldstraße – Kufsteiner Straße – durch den Volkspark Wilmersdorf, über die Prinzregentenstraße hinweg bis zur Tübinger Straße – Tübinger Straße – links in die Bundesallee – am Bundesplatz vorbei bis zum Südwestkorso – rechts in die Wiesbadener Straße – am Rüdesheimer Platz links in die Rüdesheimer Straße – Breitenbachplatz – Schorlemerallee – Englerallee – Am Erlenbusch – Kaiser-Wilhelm-Platz – Podbielskiallee – Im Dol – Franz-Grothe-Weg – Königin-Luise-Straße – über den alten Dorfanger zur St.-Annen-Kirche

Etappe gesamt: 12,6 km

Berlin – Koblenz: Etappe 0

Die Wanderung entlang der Strecke des Preußischen optischen Telegrafen von Berlin nach Koblenz beginnt am ehemaligen Standort der ersten Berliner Sternwarte in der Dorotheenstraße in Berlin-Mitte.

Um dorthin zu kommen, starte ich mit einer Einstiegsetappe:

Etappe 0: Dieffenbachstraße (Berlin-Kreuzberg) – Dorotheenstraße 27 (Berlin-Mitte)

Doch wo genau befand sich die Sternwarte überhaupt? Was ist heute noch von ihr zu sehen?

Die erste Berliner Sternwarte in der Dorotheenstraße

Im Jahr 1700 stiftete Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg, die Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften, deren erster Präsident Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) wurde.

Nach der Krönung des Kurfürsten Friedrich III. zum König Friedrich I. in Preußen nannte sich die Gesellschaft ab 1701 Königlich Preußische Sozietät der Wissenschaften. Sie hatte ihren Sitz im Marstall Unter den Linden, der für die Unterbringung der Sozietät aufgestockt und auf den doppelten Umfang nach Norden bis zur Letzten Straße, der späteren Dorotheenstraße, erweitert worden war.

Die Sozietät wurde nicht aus der Staatskasse finanziert, sondern bestritt ihren finanziellen Unterhalt selbst, u.a. durch das Monopol auf Herstellung und Verkauf der Kalender im Kurfürstentum Brandenburg. Um die Kalenderrechnung den astronomischen Gegebenheiten anpassen zu können, war eine Sternwarte nötig. Von 1700 bis 1711 wurde auf dem Nordflügel des Marstalls daher ein 27 Meter hoher Turm mit drei Geschossen als Sternwartengebäude errichtet.

Der Königliche Stall und das Observatorium, aquarellierte Zeichnung von Leopold Ludwig Müller, 1824 — Bild: Attributed to Leopold Ludwig Müller / Public domain

Die offizielle Eröffnung der Sternwarte erfolgte im Januar 1711. Die Sozietät wurde 1744 von Friedrich II. zur Königlichen Akademie der Wissenschaften reorganisiert und hatte ihren Sitz bis 1752 im Dorotheenstädtischen Marstall.

Die Sternwarte wurde lange Zeit fast ausschließlich zur Kalenderberechnung genutzt; nach und nach kamen aber auch Wissenschaftler nach Berlin, die sich intensiver mit astronomischen Fragen auseinandersetzten, etwa die Mathematiker Leonhard Euler, Joseph Louis Lagrange oder Johann Heinrich Lambert. Zu diesem Zweck wurden nach und nach hochwertige – und kostspielige – Beobachtungs- und Messinstrumente angeschafft.

Im Jahr 1811 verlor die Akademie das Kalenderprivileg und wurde künftig über den Staatshaushalt sowie durch Stiftungen finanziert.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte sich vor allem Alexander von Humboldt um die Ausstattung der Sternwarte verdient; seinem Einfluss beim König ist es zu verdanken, dass im Jahr 1828 neueste teure Geräte angeschafft werden konnten, darunter ein Refraktor (Linsenfernrohr) aus der Münchener Werkstatt von Joseph von Fraunhofer (heute im Deutschen Museum in München ausgestellt). Mit Humboldts Unterstützung erreichte der damalige Direktor der Sternwarte, Johann Franz Encke, beim preußischen König auch den Bau einer neuen Sternwarte am damaligen Stadtrand. Bedingung war, dass die Sternwarte an zwei Abenden in der Woche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

1829 erging der königliche Auftrag zur Projektierung einer neuen Sternwarte durch den Architekten Karl Friedrich Schinkel, 1830 wurde der Ankauf eines Baugrundstücks in der Nähe des Halleschen Tores für die neue Sternwarte genehmigt. Die Grundsteinlegung erfolgte 1832, und 1835 wurde das neue Observatorium an der Lindenstraße fertiggestellt.

Der Turm der alten Sternwarte an der heutigen Dorotheenstraße  diente zwischen 1832 und 1849 als “Telegraphenstation 1″ der königlich-preußischen optischen Telegraphenverbindung von Berlin über Köln nach Koblenz.
1903 wurde der Komplex samt Turm abgerissen. Auf dem Areal des Dorotheenstädtischen Marstalls wurde von 1903 bis 1914 der Neubau der “Königlichen Bibliothek zu Berlin” nach Plänen des Architekten Ernst von Ihne errichtet, der zu der Zeit als größter Bibliotheksbau der Welt galt. Nach der Abschaffung der Monarchie in Preußen durch die Novemberrevolution 1918/1919 trug die Bibliothek den Namen “Preußische Staatsbibliothek” (heute “Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz”).

Berlin, Astronomisches Observatorium. Gemälde von Friedrich Wilhelm Klose (Ausschnitt).

Berlin, Astronomisches Observatorium. Gemälde von Friedrich Wilhelm Klose (Ausschnitt – mit Signalmast der optischen Telegrafenstation) — BIld: Friedrich Wilhelm Klose / Public Domain

 

Der Weg zur Dorotheenstraße führt am Standort der zweiten Berliner Sternwarte vorbei

Da der Nachfolgebau nicht allzu weit von meiner Wohnung entfernt am Halleschen Tor errichtet worden war, führt mein Weg sinnvollerweise daran vorbeit:

Die Neue Berliner Sternwarte wurde 1832-1835 auf dem jetzigen Areal  zwischen Encke-, Bessel- und Markgrafenstraße an der Lindenstraße nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel errichtet. Das zweistöckige Bauwerk war in Kreuzform angelegt und mit seinem längsten Arm nach Osten ausgerichtet. Am Schnittpunkt der Kreuzarme befand sich die Eisenkonstruktion einer drehbaren Kuppel mit einem Durchmesser von 7,5 Metern. Es handelte sich um die erste Sternwartenkuppel in Preußen in Form einer Halbkugel mit Spaltverschluss und Drehmechanismus. Das Fundament des eigentlichen Observatoriums war vom übrigen Gebäude unabhängig, um die Übertragung von Schwingungen zu vermeiden.

In der neuen Sternwarte wurden bedeutende astronomische Entdeckungen gemacht, etwa die Teilung des Saturnrings, die Entdeckung eines weiteren dunklen Rings beim Saturn (C-Ring) sowie mehrere bisher unbekannte Kometen. Am 23. September 1846 entdeckten Johann Gottfried Galle und der Astronomiestudent Heinrich Louis d’Arrest anhand von Positionsberechnungen des Franzosen Urbain Le Verrier den Planeten Neptun. Durch diese Entdeckung erlangte die Berliner Sternwarte weltweite Bekanntheit.

Die Neue Sternwarte in Berlin, Ölgemälde von Carl Daniel Freydanck, 1838

Die Neue Sternwarte in Berlin, Ölgemälde von Carl Daniel Freydanck, 1838 [Blick von Südosten] — Bild: Carl Daniel Freydanck / Public domain

1865 wurde Wilhelm Foerster (1832 – 1921) Direktor der Sternwarte. Zu dieser Zeit war das Observatorium die bedeutendste astronomische Forschungs- und Lehrstätte in Deutschland.
Am Nordflügel des Observatoriums war die Höhenbezugsfläche Normalnull für das Königreich Preußen festgelegt. Die Markierung wurde zum 82. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. am 22. März 1879 förmlich übergeben. Dieser “Normalhöhenpunkt 1879″ wurde vom Amsterdamer Pegel abgeleitet und markierte 37 Meter über Null.

1889 wurde die Königliche Sternwarte der Akademie der Wissenschaften getrennt und der Friedrich-Wilhelm-Universität angeschlossen. Die Berliner Universität hatte bereits seit ihrer Gründung im Jahr 1809 die Sternwarte der Akademie mitbenutzt.

Ende des 19. Jahrhunderts führte das rasante Wachstum der Stadt Berlin dazu, dass die einst am Stadtrand errichtete Sternwarte inzwischen völlig umbaut war und damit eine den Ansprüchen der Forschung genügende Beobachtungstätigkeit kaum mehr möglich war. Mitte der 1890er Jahre schlug daher unter anderem Wilhelm Foerster den Neubau einer Sternwarte außerhalb des Ballungsraumes vor. Nach Probebeobachtungen im Umland ab Juni 1906 fiel die Entscheidung des Kultusministeriums zugunsten des vorgeschlagenen Standorts im Schlosspark Babelsberg bei Potsdam. Hier wurde von 1911 bis 1913 nach einem Entwurf von Thür und Brüstlein das Hauptgebäude der neuen Sternwarte errichtet.

Das Gebäude in der Lindenstraße wurde nach dem Umzug geräumt und im August 1913 abgerissen. Der Verkauf des Grundstücks deckte die Kosten der Errichtung der neuen Sternwarte in Babelsberg und der Anschaffung neuer Instrumente. Nach dem Abbruch der Gebäude wurde das geräumte Gelände an der Lindenstraße teilweise für den Bau einer neuen Straße genutzt, die ab 1927 Enckestraße hieß. Entlang der Straße neu geschnittene Grundstücke wurden bebaut, unter anderem mit dem Blumengroßmarkt Kreuzberg (1922).

Im Jahr 2012 wurde zum 100. Geburtstag des Deutschen Haupthöhennetzes am exakten Ort des Normalhöhenpunktes von 1879 eine Gedenkstele enthüllt.

Quelle:
Wikipedia: Berliner Sternwarte (abgerufen am 5.8.2020)

 

Verlauf der Etappe 0

Start: Dieffenbachstraße

Ziel 1: Stele am Standort der Sternwarte zur Erinnerung an den früher hier an der Nordseite des Gebäudes befindlichen Preußischen Normal-Höhenpunkt 1879

Strecke: 2,6 km – Dieffenbachstraße – am Landwehrkanal entlang bis zur Zossener Brücke – rechts in die Zossener Straße – Lindenstraße – links auf den Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz (ehem. Blumengroßmarkthalle, heute W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin)

Ziel 2: Dorotheenstraße 27, Standort der ersten Berliner Sternwarte

Strecke: 1,8 km – Enckestraße – Charlottenstraße – rechts in die Dorotheenstraße

Etappe gesamt: 4,4 km

 

Der Preußische optische Telegraf zwischen Berlin und Koblenz

Beim Stöbern im internet entdecke ich zufällig, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Verbindung zwischen Berlin und Koblenz gab: Den sog. “Preußischen optischen Telegraf”.

Dies war eine Kette von Telegrafenstationen, über die behördliche und militärische Nachrichten mittels optischer Signale über eine Distanz von 588 Kilometern übermittelt werden konnten. Etwa alle 10 bis 15 Kilometer stand eine solche Telegrafenstation – insgesamt 62 Stück.
Jede Station war mit Signalmasten ausgestattet, an denen jeweils sechs mit Seilzügen zu bedienende Telegrafenarme angebracht waren, mit deren Hilfe codierte Nachrichten übermittelt wurden. Die Stationen waren mit Fernrohren ausgerüstet, mit denen Telegrafisten die codierten Informationen von einer signalisierenden Station ablasen und sie unmittelbar an die jeweils folgende weitergaben.
Drei Versandabteilungen, die sogenannten “telegrafischen Expeditionen” in Berlin, Köln und Koblenz ermöglichten die Aufnahme, Chiffrierung, Dechiffrierung und Ausgabe von Staatsdepeschen.

Als Telegrafenstationen dienten bereits vorhandene Bauwerke wie beispielsweise der Turm der Dahlemer Dorfkirche in Berlin (Station 2), oder es wurden entsprechend hohe Gebäude beziehungsweise Türme speziell errichtet. Etliche Stationen existieren als Bauwerke bis heute.

Der Preußische optische Telegraf existierte von 1832 bis 1849 und war zu seiner Zeit die längste Telegrafenlinie Europas. Die Anlage wird als Beginn der Telekommunikation in Deutschland bezeichnet.
Außerdem wurde über die gesamte Linie die Berliner Ortszeit (“Berliner Zeit”) synchronisiert und bildete bei einer Toleranz von rund einer Minute das erste einheitliche Zeitniveau auf so großer Distanz. Sie wurde mittels eines Zeigersignals über die 62 Stationen, alle mit einer Schwarzwälder Uhr (die als besonders zuverlässig galt) ausgestattet, spätestens alle drei Tage synchronisiert.

Der Preußische optische Telegraf wurde durch die Einführung der elektrischen Telegrafie seit den 1830er Jahren überflüssig. Das Prinzip kommt jedoch noch heute beim Winkeralphabet mit Fähnchen und in stark vereinfachter Form bei mechanischen Eisenbahnsignalen zur Anwendung.

Soweit die Geschichte (Quelle: Wikipedia).

Da die Strecke bekannt ist und etliche Gebäude noch stehen, zudem die Abstände zwischen den einzelnen Stationen recht kurz sind, frage ich mich, ob es sich nicht lohnen würde, die Strecke ganz oder in Teilen abzuwandern…

Die Idee einer Langstreckenwandereung schwirrt mir schon seit Jahrzehnten im Kopf herum, und vielleicht wäre es dann mal langsam an der Zeit, das in die Tat umzusetzen..?

Landkarte, auf der der Verlauf der Telegrafenlinie "Preußischer optischer Telegraf" zwischen Berlin und Koblenz eingezeichnet ist

Preußischer optischer Telegraf: Verlauf der Telegrafenlinie — Bild: Lencer / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)

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Helmkasuare

Herr Buddenbohm schreibt von seinem Besuch im Vogelpark in Heiligenkirchen und erwähnt den Helmkasuar:

“Gegenüber ein Helmkasuar. Ein Laufvogel von beträchtlicher Größe und mit ausgesprochen grimmer Visage, wenn der Ihnen auf einem Waldweg entgegenkommt, dann weichen Sie aus, und zwar verlässlich und schnell und weit. Der ist tatsächlich gefährlich und er sieht auch so aus, auch diesen Vogel hatte ich noch nie vorher gesehen. Da stand ein einzelner Helmkasuar im Gehege, was einen zunächst spontan dauert, das arme Tier! Bis man nachliest, dass diese Kasuare rabiate Einzelgänger sind, die sich ausschließlich zur Paarung treffen.”
(Manchmal ist es einfach, 31.7.2020)

Ich habe noch nie von Helmkasuaren gehört, aber die Bilder im Internet machen mich neugierig.

Kopf eines Helmkasuars

Helmkasuar — Foto: BS Thurner Hof / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Laut Wikipedia leben Helmkasuare in Neuguinea und Queensland (Australien), es sind Laufvögel, die bis 1,90 m groß und bis zu 85 kg schwer werden. Der Schädelknochen trägt auf der Oberseite einen helmartigen Kamm, daher der Name. Sie können bis zu 50 km/h schnell rennen und bis 1,50 m hoch springen und sind gute Schwimmer. Ihre dreizehigen Füße besitzen scharfe Krallen; die dolchartige innere Kralle wird bis zu 12 Zentimeter lang.

Eine wahre Kampfmaschine also, noch dazu sehr hübsch: Kopf und Hals tragen keine Federn, die Haut ist leuchtend blau gefärbt, nur ein Streifen an der Hinterseite des Halses und mehrere Hautlappen vorne und hinten am Hals sind rot. Das Gefieder ist bei ausgewachsenen Tieren glänzend schwarz.

Kämpferisch scheinen sie aber gar nicht zu sein, sie leben weitestgehend einzeln und ernähren sich hauptsächlich von Früchten, Pilzen, Insekten, Kleingetier und Eiern. Nur wenn die Vögel in die Enge getrieben werden, teilen sie kräftige Tritte aus, und die können dann wegen der langen, dolchartigen Krallen auch für einen Menschen durchaus lebensgefährlich sein. Zusammenstöße mit Menschen gibt es hauptsächlich, wenn diese die Kasuare füttern und der Vogel Futter erwartet oder danach schnappt.

Helmkasuar an einem Wasserloch im Prager Zoo

Helmkasuar — Foto: Karelj / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Ausnahmsweise sind die Weibchen die dominanter gestalteten Tiere: sie sind deutlich schwerer (im Schnitt 58 kg) als die Männchen (29-34 kg), ihr Helm und Schnabel sind größer, die farbigen Hautpartien heller und leuchtender gefärbt als bei den Männchen. Ansonsten unterscheiden sich die Geschlechter äußerlich kaum.

Der Helmkasuar (Casuarius casuarius) hat zudem eine interessante Fortpflanzungsstrategie: Das Männchen baut das Nest, eine seichte Bodenvertiefung, die mit Gras und Blättern ausgekleidet und gut getarnt ist. Es paart sich nur mit einem einzigen Weibchen, das dann drei bis acht Eier in das Nest legt. Das Weibchen zieht anschließend weiter und kann sich noch mit weiteren Männchen paaren. Das Männchen bebrütet die Eier etwa zwei Monate lang und sorgt dann noch weitere neun Monate für die Küken.
“Auch ein Modell” wie Herr Buddenbohm treffend lapidar schreibt.

 

I Remember: Ruhala Kutas

Anlässlich des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar 2019 hat die Gedenkstätte Yad Vashem eine schöne Aktion ins Leben gerufen, die “IRemember Wall“. Nach Eingabe seines Namens wird einem nach dem Zufallsprinzip der Name eines Holocaust-Opfers aus der Yad Vashem-Datenbank zugeordnet, dessen man gedenken kann.

Ich gedenke hiermit

Ruhala Kutas

Ruhala Kutas wurde als Tochter von Yakov und Rojza (geborene Hecht) in Stryków in Polen geboren.
Zuletzt wurde sie 1941 gesehen.
Sie war noch ein Kind und wurde in der Shoah ermordet.

Von Ruhala wissen wir, weil Sender Balberman, der spätere Mann ihrer Schwester Szajndel ein Überlebender der Shoah, in Yad Vashem Gedenkblätter für sie und ihre Familie eingereicht hat.

Ruhala, Dein Name soll nie vergessen sein.

Foto von Ruhala Kutas, Opfer der Shoah, Yad Vashem

Ruhala Kutas, 1939

 

In der Datenbank von Yad Vashem kann man nach Holocaust-Opfern suchen.

Folgendes können wir aus den Gedenkblättern in Yad Vashem über Ruhalas Familie erfahren:

Ihr Vater, Yakov Shlomo Kutas stammte aus Stryków und war Schneider, ihre Mutter Rojza, geborene Hecht, stammte ebenfalls aus Stryków und führte einen Laden.
Sie hatten sieben Kinder: Die Töchter Hana, Szajndel Malka, Masha und Ruhala, und die Söhne Abraham Yitzhak, Gershon und Shaiya.
Sohn Abraham Yitzhak ist 1914 oder 1915 in Stryków geboren und war Soldat.
Tochter Hana war bei der Deportation der Familie 1941 bereits verheiratet.
Sohn Shaiya wurde vermutlich um 1933 geboren.

Die gesamte Familie wurde vermutlich im Dezember 1940 deportiert und später ermordet.

Nur eine Tochter überlebte: Ruhalas ältere Schwester Szajndel Kutas, geboren 1918.

Szajndel beschrieb 1978 für einen Zeitungsartikel ihren Leidensweg: Nach der deutschen Besetzung sollte Stryków, eine kleine Stadt nahe Łódź, “judenrein” gemacht werden. Zwei Tage vor Weihnachten (höchstwahrscheinlich 1940) wurde Familie Kutas Richtung Polen vertrieben. Sie bettelten um Essen und umwickelten die Füße mit Zeitungspapier gegen die Kälte. Sie gelangten ins Ghetto von Głowno und schließlich ins Warschauer Ghetto. Mit ihrer Schwester Masha und ihrem Bruder Gershon ging Szajndel zur Arbeit aufs Feld. Sie erkrankte an Typhus, und in dem Krankenhaus, in das sie gebracht wurde, wurden alle, inklusive der Krankenschwestern, erschossen. Szajndel überlebte und kehrte zurück zur Feldarbeit: Wer arbeiten konnte, hatte eine Chance zu überleben. Eines Tages wurde Szajndel mit tausenden anderen Juden in Viehwaggons verladen. Jemand sagte “Kämpf!” und sie wühlte sich aus einem Berg nackter Körper heraus, um atmen zu können. Von den 80 Menschen in ihrem Waggon überlebten nur drei. Der Zug ging nach Majdanek. Darauf folgten zwei Jahre in Block 25 in Auschwitz-Birkenau. Im Januar 1945 kam sie nach Ravensbrück; die Frauen und Kinder der Transporte, mit denen Auschwitz geräumt wurde, mussten bei strengstem Frost weite Strecken zu Fuß zurücklegen (sog. Todesmärsche). Hier erlebte Szajndel die Befreiung durch die Rote Armee. Von ihren Eltern und sechs Geschwistern kam niemand zurück.

Zeitungsartikel "One Family's Holocaust", Federation News, September 1978

 

Szajndel heiratete später Sender Balberman, der ebenfalls aus Stryków stammte, jedoch vor den Nazis nach Russland geflohen und dort in einem Arbeitslager interniert war. Beide sind in Ontario, Kanada begraben. Szajndel starb 2005.
Sender Balberman besuchte 1996 Polen. Davon gibt es zwei Videos:  Sender Balberman, Nathan Szafran in Poland 1996 und Strykow with Nathan Szafran, Sender and Sheldon Balberman

Stryków (1943–1945 Strickau) ist eine Kleinstadt 15km nordöstlich von Łódź in Polen. Sie hat heute etwa 3.500 Einwohner. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten im Ort etwa 5.000 Menschen, von denen etwa 2.000 Juden waren (40 Prozent). Etwa 45 Prozent der Einwohner verloren im Krieg ihr Leben, unter ihnen fast alle Juden.

Die Region um Łódź war Ende 1939 dem sog. “Reichsgau Wartheland” (“Warthegau”) zugeordnet worden – ursprünglich polnisches Gebiet, das im Polenfeldzug (seit 1.9.1939) annektiert worden war.
In diesem Teil des Warthelandes, das auch vor 1919 nicht zum deutschen Staatsgebiet gehört hatte, gab es lediglich einige kleinere deutschsprachige Siedlungen sowie eine deutsche Minderheit im Raum Łódź. Insgesamt stellten Deutsche oder sich als Deutsche verstehende Polen im Jahr 1939 in diesem Gebiet nicht mehr als drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Ziel der NS-Politik im Wartheland war es, dieses Gebiet so schnell wie möglich zu “germanisieren”. Dies geschah vor allem durch Neuansiedlung von Deutschen (sog. “Umsiedler”) und durch eine harte Assimilationspolitik mittels der sogenannten „Deutschen Volksliste“, wonach vor allem Deutschstämmige oder „zur Eindeutschung fähige“ oder “nach Umerziehung zur Eindeutschung fähige” Menschen Deutsche werden sollten. “Nicht Eindeutschungsfähige”, das waren vor allem Menschen, die aus “rassischen” Gründen nicht Deutsche werden konnten, also in erster Linie Juden, aber auch Sinti und Roma, wurden von der SS ins Generalgouvernement (von den Deutschen besetzte ehemals polnische Gebiete um Warschau, Lublin und Krakau) deportiert.

Erste Deportationen aus dem Wartheland wurden bereits Ende 1939 durchgeführt. Sie umfassten vor allem so genannte “ethnische Polen” und Juden. Bis März 1941 wurden mindestens 280.606 Menschen ins Generalgouvernement deportiert; manche Historiker gehen von noch höheren Zahlen aus.
Die Deportationen erfolgten unter der Aufsicht des “Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS” (SD) und mit der Unterstützung von Gendarmerie, Schutzpolizei, Volksdeutschem Selbstschutz sowie SA- und SS-Einheiten. Die Deportierten kamen zunächst in speziell eingerichtete Übergangslager oder wurden in Ghettos zusammengefasst. Die Existenzbedingungen in diesen Lagern waren schlecht – die Internierten litten häufig unter Hunger, Kälte, Krankheiten und schlechten sanitären Verhältnissen. Von den Durchgangslagern aus wurden die Menschen weiter in andere Lager oder Ghettos im Generalgouvernement Polen transportiert. Dies geschah zumeist mit Güterwaggons. Diese Transportkette endete für viele polnische Juden in den deutschen Vernichtungslagern. Widerstand gegen die Deportationen wurde mit Waffengewalt gebrochen.

Nach Angaben der Tochter Shayndl wurde die Familie Kutas im Dezember 1940 aus Stryków deportiert. Da die Angaben in den Gedenkblättern durchgehend besagen, man habe die übrigen Familienmitglieder “1941 zuletzt gesehen”, dürfte dies die Zeit sein, als Shayndl von der Familie getrennt wurde, vielleicht weil sie an Typhus erkrankte oder weil sie nach Majdanek deportiert wurde.

Da viele Unterlagen vernichtet wurden, ist nicht bekannt, wo Ruhala gestorben ist und ob sie am Ende allein war oder bei ihrer Familie.

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